Es gibt einen gefährlichen und anhaltenden Trend in der niedergelassenen ärztlichen Versorgung, dem schnell und entschlossen gegengesteuert werden muss: Der Tatsache, dass in der Corona-Krise noch immer viele Menschen den Arztbesuch scheuen, aus Sorge, sich in der Arztpraxis mit Sars-CoV-2 zu infizieren. So sind zum Beispiel nach Berechnungen der Ärztekammer im Corona-Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr die Mammografien um insgesamt 18 Prozent zurückgegangen.
Nach aktuellen, noch unveröffentlichten Zahlen des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger sind zwischen dem 2. Quartal 2019 und dem 2. Quartal 2020 – also dem ersten Lockdown – Brustkrebsuntersuchungen um rund 37 Prozent zurückgegangen. PAP-Abstriche beim Gynäkologen verringerten sich um rund 22 Prozent, Darmkrebsuntersuchungen („Koloskopien“) ebenso. Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen durchgeführte pathologische und histologische Untersuchungen von Gewebeproben über alle Fächer hinweg (Darmpolypen, PAP-Abstriche, etc.) sogar um 60 Prozent. MR- und CT-Untersuchungen z. B. zur Knochendichtemessungen gingen um etwa 50 Prozent zurück. Allgemeinmediziner verzeichneten einen Rückgang bei Vorsorgeuntersuchungen um 27 Prozent.
Zu möglichen Nachholeffekten bei den Vorsorgeuntersuchungen im Sommer 2020 liegen noch keine konkreten Zahlen vor, im 4. Quartal 2020 gab es aber nach den Angaben des Dachverbandes wieder starke Rückgänge.
Dazu kommen nach den alarmierenden Berichten vieler Ärztinnen und Ärzte
- häufig nicht wahrgekommenen Kontrollen bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Koronaren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz,
- ausbleibende Arztkonsultationen bei akuten Beschwerden, und
- ärztlich unbehandelte psychiatrische Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen, die nach den Angaben von Psychiatern in der Krise stark angestiegen seien.
Dass dieser Trend nun seit rund einem Jahr anhält, kann beträchtliche Auswirkungen auf die Gesundheit bedeuten. Hier haben wir ein ernstes Gesundheitsproblem.
Ich appelliere als Arzt einmal mehr mit Nachdruck an die Bevölkerung, nötige Arztbesuche wahrzunehmen: sei es routinemäßig oder bei akuten Beschwerden. Niemand sollte aus Angst vor einer Corona-Infektion in der Arztpraxis zu Hause zu bleiben. Wer die Sicherheitsvorkehrungen in den Arztpraxen einhält – also Terminvereinbarung, Händehygiene, Distanz halten und Maske tragen – minimiert das Risiko einer Infektion. Die Nutzen-Risiko-Abwägung spricht eindeutig für regelmäßige Arztbesuche!
Um weiteren „Kollateralschäden“ vorzubeugen, sollten Gesundheitsministerium und ÖGK geeignete Informations-Kampagnen starten, verunsicherten Bürgerinnen und Bürger die Ängste nehmen und zu regelmäßigen Gesundheitskontrollen und Arztbesuchen bei akuten Beschwerden motivieren.
In der Corona-Krise hat sich einmal mehr mit dramatischem Nachdruck gezeigt, wie wichtig eine gut ausgestattete Gesundheitsversorgung ist: Von ausreichend vielen Ärzten und Pflegepersonen über deutlich mehr Kassenarzt-Praxen bis hin zu genügend Intensivbetten. Diese Erfahrungen müssen auch in Zukunft eine Basis für das Gesundheitsbudget sein. Also kein Sparen der Sozialversicherungen auf Kosten der Gesundheit!