Wer dachte, dirigistische Konzepte a la Ostblock-Staaten gehörten der Vergangenheit an, sah sich jetzt bei der Zeitungslektüre eines Schlechteren belehrt. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sieht die Zukunft des niedergelassenen ärztlichen Bereichs nämlich so: „Man wird darüber nachdenken müssen, ob man sich in Zukunft weiter einfach so als Wahlarzt niederlassen kann – nach 15 Jahren öffentlich finanzierter Ausbildung…Immerhin sind die Ärzte wie die Notare ein geschützter Beruf mit einem Wettbewerbsverbot, weil die öffentliche Versorgung garantiert werden muss.“
Anders formuliert heißt das etwa: Die Obrigkeit schreibt uns Ärztinnen und Ärzten vor, ob wir als Wahlärzte ordinieren dürfen oder nicht, weil die öffentliche Hand unsere Ausbildung bezahlt hat. Nach dieser dirigistischen Logik müsste jeder Philosophie-Absolvent als hauptberuflicher Philosoph arbeiten und jeder Jus-Absolvent als Richter, Notar oder Anwalt – und nicht etwa als Manager, Journalist oder Fremdenführer. Tatsächlich können sich Absolventen solcher Studien natürlich aus freiem Willen für eine bestimmte berufliche Tätigkeit entscheiden – begrenzt allenfalls durch die Realitäten des Arbeitsmarktes. Und für uns Ärzte soll das nicht gelten? Wir sollen alle, sofern wir uns nicht für eine Karriere im Spital entscheiden, im Rahmen von Kassenverträgen arbeiten – so hat es Herr Hacker ja wohl gemeint. Hier gehen ihm wohl die dirigistischen Pferde durch.
Wehren wir den Anfängen
Unsere Antwort kann nur sein: Wehren wir den Anfängen. Wird so etwas tatsächlich traurige Wirklichkeit, ist eine Arbeitsmarktpolitik wie in der DDR zum Greifen nahe. Ich gehe nicht so weit, Herrn Hacker das zu unterstellen, aber man muss seine Aussagen sorgfältig im Auge behalten. Denn Bürokratisierung und Konzernisierung hängen wie ein gesundheitspolitisches Damoklesschwert über der ärztlichen Freiberuflichkeit.
Mit dirigistischen DDR-Konzepten lassen sich die gesundheitspolitischen Herausforderungen jedenfalls nicht bewältigen.
Wer Wahlärzte abschaffen will, gefährdet die Gesundheitsversorgung
In Herrn Hackers Interview darf auch das übliche Argument der Ärztemangel-Leugner nicht fehlen: „Wir haben so viele Ärzte wie nie zuvor, aber ein Verteilungsproblem: Immer mehr werden nicht Kassen- sondern Wahlarzt. Sie sind aber keine Alternative.“
Einspruch: Wahlärzte sind eine unersetzliche Säule der niedergelassenen ärztlichen Versorgung. Wer sie abschaffen oder dezimieren will, gefährdet die Gesundheitsversorgung und vertreibt Ärzte geradezu ins Ausland. Bitte also um etwas mehr Realitätssinn.
Stadtrat Hacker bestraft damit die Patienten, denen man die Möglichkeit nimmt, aus eigenen Stücken zum Wahlarzt zu gehen, und es verlängert noch weiter die Wartezeiten im öffentlichen System. Wahlärzte sind ein Ventil für Menschen, die es sich leisten können, und sie sind indirekt ein wichtiger Beitrag zur sozialen Gesundheitsversorgung derer, die sich eine Privatmedizin nicht leisten können oder wollen. Ein Verbot von Wahlärzten ist kontraproduktiv, da es nur zu noch mehr Wartezeiten und Zulauf in die Spitalsambulanzen führen würde.
Ärztemangel: ärztliche Versorgung nicht behindern, sondern fördern
Ich empfehle außerdem einen Blick auf die Ärztestatistik und die Prognose für die nächsten zehn Jahre, wonach jeder zweite Kassenvertragsarzt bis dahin das Pensionsalter erreicht haben wird, und der Nachwuchs aus heutiger Sicht diese Abgänge niemals ersetzen wird. Man sollte also schon deshalb die ärztliche Versorgung nicht behindern, sondern fördern.
Stadtrat Hacker empfiehlt des weiteren „Kammer und Gesundheitskasse“ sich zu überlegen, „wie sie den niedergelassenen Bereich in Schwung bekommen“. Bitte sehr: Wahlärzte sind besser in die öffentliche Versorgung miteinzubinden, denn aktuell ist eine Versorgung ohne die mehreren Tausend Wahlärzte in Wien undenkbar.
Wir brauchen außerdem allein in Wien 300 zusätzliche Kassenplanstellen. Es ist kein Wunder, dass Patienten u.a. deshalb zu Wahlärzten wechseln, wenn sie keine freien Termine bei Kassenärzten aufgrund von deren Überlastung erhalten.
Tätigkeit von Kassen- und Wahlärzten attraktivieren
Die Stadt Wien solle sich gemeinsam mit der Sozialversicherung Gedanken machen, die Tätigkeit des Kassenarztes und des Wahlarztes zu attraktivieren. Denn eines muss unstrittig sein: Will man Ärzte in Wien bzw. Österreich halten, dürfen die kassen- wie wahlärztlichen Arbeitsbedingungen hierzulande nicht schlechter sein als in anderen Ländern.