Stopp der Gewalt gegen Ärzte und Sprechstundenhilfen

Anlässlich des tragischen Messerangriffs auf einen Kollegen im SMZ Süd haben wir heute ein Pressegespräch zum Thema „Gewalt gegen Ärzte“ organisiert.  Hier einige Anmerkungen aus der Sicht eines Vertreters der niedergelassenen Ärzteschaft. Auch in den niedergelassenen Arztpraxen haben Aggression und Gewaltbereitschaft inzwischen ein völlig inakzeptables Ausmaß erreicht, das auf keinen Fall einfach hingenommen werden darf. Hier sind dringend wirksame Gegenmaßnahmen auf breiter gesellschaftlicher, politischer und rechtlicher Basis erforderlich.

Um uns einen ersten Eindruck zu verschaffen, haben wir eine Online-Blitz-Umfrage unter niedergelassenen Allgemeinmedizinern mit Kassenvertrag in Wien durchgeführt. Das ist der Bereich, aus dem wir bisher die meisten Klagen von Ärzten gehört haben.

Alarmierende Umfrageergebnisse

Die Ergebnisse dieser Umfrage sind hochgradig alarmierend:

  • 57 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, die unsere Fragen beantwortet haben, haben den Eindruck, dass Aggression und Gewalt gegen Ärzte insgesamt zunimmt.
  • 97 Prozent haben in den vergangenen 24 Monaten von Kollegen gehört, dass diese von Patienten oder Angehörigen verbal bedroht wurden.
  • 80 Prozent wurden in diesem Zeitraum selbst verbal bedroht.
  • 70 Prozent haben in diesem Zeitraum von anderen Ärzten gehört, dass diese körperlich angegriffen wurden.
  • 10 Prozent wurden selbst körperlich bedroht.

Ganz offensichtlich hat also der Trend zur sinkenden Hemmschwelle, zum Einschüchtern und aggressiven Einfordern von Leistungen auch unsere Arztpraxen erreicht. Das darf auf keinen Fall bagatellisiert werden.

Noch gibt es in Österreich zum Thema Gewalt in Arztpraxen – anders als z. B. seit einiger Zeit in Deutschland – kaum repräsentative Daten. Eine größer angelegte Umfrage der Wiener Ärztekammer läuft gerade, und wir erhoffen uns aufschlussreiche Ergebnisse.

Nach den Angaben des deutschen „Ärztemonitors 2018“ kommt es in deutschen Arztpraxen täglich zu insgesamt 75 Fällen körperlicher und 2.870 Fällen verbaler Gewalt. Jeder vierte niedergelassene Arzt wurde zumindest einmal im Berufsleben mit körperlicher Gewalt durch Patienten konfrontiert. Basis dieser Ergebnisse ist die Befragung von etwa 7.000 Ärzten. Es ist davon auszugehen, dass sich solche Ergebnisse im Wesentlichen auf Österreich umlegen lassen.

Am häufigsten, das zeigt eine Untersuchung, kommt es im Konfliktfall zu Beleidigungen und Beschimpfungen, Sachbeschädigung, Rufschädigung und Cyber-Mobbing, also Verleumdung im Internet. In Berichten ist vom Beißen, Spucken, Treten oder Stoßen die Rede. Einem Wiener Arzt wurde von einem Patienten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, einem anderen das Nasenbein gebrochen.

An von Gewalt betroffenen Ärzten oder Sprechstundenhilfen gehen solche Übergriffe nicht immer spurlos vorüber: Es kann zu Angst, Depressionen oder dem Verlust der Arbeitsfreude kommen, oft sind Kriseninterventionen oder psychotherapeutische Begleitung nötig.

Typische Konfliktauslöser

Was sind typische unmittelbare Konfliktauslöser? Zum Beispiel fordern Patienten eine Therapie, die aber medizinisch nicht angemessen ist und/oder von den Kassen nicht bezahlt wird. Oder sie fordern eine Krankschreibung, die nicht gerechtfertigt ist. Oder sie beanstanden lange Wartezeiten in der Ordination, und nehmen Anstoß daran, dass vorgemerkte Patienten oder Notfälle vorgereiht werden. Natürlich können kranke Menschen und ihre Angehörigen verletzlich sein und überempfindlich reagieren. Aber es darf nicht sein, dass sich das in Form von Bedrohungen entlädt.

Keine Bagatellisierung – Gemeinsames Vorgehen gegen Gewalt

Deshalb ein klares Nein zu Aggression gegen Ärzte und ihre Mitarbeiter. Gewalt in den Ordinationen darf nicht zum individuellen Problem einzelner Betroffener kleingeredet werden. Gesetzgeber, Politik, Sozialversicherungen und Interessensvertretungen sind gefordert, sich dieses Themas anzunehmen, und wir hoffen hier auf die Unterstützung der Medien. Aggression in Arztpraxen muss gesellschaftlich geächtet werden, und es ist wichtig, das auf möglichst breiter Basis zu vermitteln.

Übergriffe sind keine Bagatellen. Sie können Rechtsbrüche und kriminelle Delikte darstellen und müssen entsprechend verfolgt werden. Ärztevertretungen in Italien und Deutschland fordern hier bereits schärfere Strafen. Ich plädiere dafür, Übergriffe gegen Ärzte und ihre Mitarbeiter in gleichem Umfang und mit gleichen Konsequenzen zu ahnden, wie Übergriffe gegen Exekutivbeamte.

Prävention im Vordergrund

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Prävention. Es geht darum, in Arztpraxen das Geeignete zu tun, damit Konflikte möglichst gar nicht erst entstehen. Zu diesem Zweck haben wir zunächst einmal in Wien niedergelassenen Ärzten und ihren Mitarbeitern spezielle Workshops angeboten. Dort lernen sie unter anderem, potenzielle Aggressoren zu identifizieren, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen, Deeskalationsmethoden zu üben, Strategien zur Beherrschung von Gefahrensituationen zu erlernen, und sich notfalls in Sicherheit zu bringen und Hilfe zu holen. Diese Workshops sind völlig ausgebucht und sehr beliebt, weshalb wir ständig weitere anbieten.

Wir werden das Thema Aggression und Gewalt in Arztpraxen sehr sorgfältig verfolgen, konsequent Gegenmaßnahmen entwickeln und Ärztinnen und Ärzten unterstützen, wenn sie Rat und Hilfe brauchen.