Wertschätzung ist eine besonders wichtige Ressource.

Hier einige Überlegungen, die ich gestern Abend bei einer Podiumsdiskussion des „Gesundheitspolitisches Forums“ zum Thema „Wertschätzung der Gesundheitsberufe“ präsentiert habe.

Wertschätzung ist nicht nur in der Medizin eine ganz besonders wichtige Ressource. Ohne ein ausreichendes Maß an Wertschätzung funktioniert das Zusammenwirken und Zusammenleben in Unternehmen, in Familien, in Partnerschaften und  in der Politik bestenfalls suboptimal. Und in ganz besonderer Weise und in ganz besonderem Ausmaß gilt das natürlich für die Medizin. Ohne Wertschätzung zwischen Arzt und Patient bleiben in der Medizin  oder – um einen altmodischen, mir aber sehr sympathischen Begriff zu verwenden – in der Heilkunst viele Potenziale ungenützt. Sind zwischen Arzt und Patient Vertrauen, Offenheit und Wertschätzung nicht ausreichend vorhanden, werden die therapeutischen Erfolge oft hinter dem Möglichen zurückbleiben.

Wertschätzung sollte aber nicht nur die Kommunikation zwischen Arzt und Patient bestimmen, sondern auch den Umgang mit Mitarbeitern, mit Vertretern anderer Gesundheitsberufe, und nicht zuletzt den Umgang der unterschiedlichen Akteure im Gesundheitssystems miteinander. In der Gesundheitspolitik sollten Lösungen gemeinsam, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Standpunkte, Expertise und Argumente gefunden werden. Und nicht in einem Gegeneinander, in dem der Stärkere den Schwächeren Entscheidungen oktroyiert, koste es was es wolle. Das ist nicht nur schlechter politischer Stil, meistens sind solche Entscheidungen auch weder gut noch haltbar.

Die Zeit wird ein immer knapperes Gut.

Die wichtige Ressource Wertschätzung droht allerdings in modernen Gesundheitssystemen immer mehr unter die Räder eines Zeitgeistes zu geraten, der von Ökonomisierung, Bürokratisierung und politischer Einflussnahme geprägt ist. Ein zentrales Opfer dieses Trends ist die Zeit. Sich für jemanden Zeit zu nehmen, ist ein Ausdruck von Wertschätzung. Doch die Zeit wurde ein immer knapperes Gut.

In der Gesundheitsversorgung hat das mehrere Ursachen:

Überregulierung und Bürokratisierung

Die Überregulierung des Gesundheitssystems, insbesondere durch Krankenkassen oder Spitalsbetreiber, ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass uns Ärztinnen und Ärzten aufgrund bürokratischer Zusatzbelastungen immer weniger Zeit für unser zentrales Aufgabengebiet bleibt: dem Dienst an unseren Patientinnen und Patienten.

Immer mehr bürokratische Tätigkeiten werden von den Kassen an den niedergelassenen Bereich ausgelagert. Derzeit gibt es zum Beispiel eine Flut unterschiedlicher Formulare für Kassenärzte. Allein das Arzneimittel-Bewilligung-System summiert sich bei jährlich knapp 2,8 Millionen Bewilligungen zu einem gigantischen Zeitaufwand auf. Der Nutzen dieser administrativen Zusatzbelastung der Ärzte für unsere Patienten erschließt sich einem nicht immer.

Industrialisierung in der Gesundheitsversorgung

Eine weitere Mitursache der Zeitknappheit ist die Industrialisierung in der Gesundheitsversorgung, bei der es um Produktion, Beschleunigung und Effizienz geht. Gesundheitssysteme setzen heute zumeist auf Anreizsysteme, denen zufolge mehr bezahlt wird, wenn mehr getan wird. Man übernahm Prinzipien aus der industriellen Produktionstechnik und wandte diese 1:1 auf das Gesundheitssystem an. Doch so funktionieren weder Patienten noch die Medizin. Auf den Punkt gebracht: Wir können unseren Patienten nicht schneller zuhören.

Diese Steigerungslogik bedroht natürlich das Arzt-Patient-Gespräch auch deshalb, weil es nicht finanziell belohnt wird. Niedergelassene Kassenärzte honorieren die Sozialversicherungen nur einen kleinen Prozentsatz der geführten „ausführlichen diagnostisch therapeutischen Aussprachen“ oder „psychosomatisch orientierten Diagnose- und Behandlungsgespräche“. Alle weiteren müssen sie gratis erbringen. So gerät aufgrund von Systemfehlern das Gespräch als Ausdruck von Wertschätzung Schritt für Schritt in Bedrängnis.

Drohende Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit

Es droht außerdem zunehmend die Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit. Es darf nicht dazu kommen, dass Standardisierungen ärztlichen Handelns durch Behandlungspfade, Standing Operating Procedures, Krankenkassen-Vorgaben oder Krankenhaus-interne Versorgungsanweisungen letztlich dazu führen, dass Ärzte in medizinischen Fragen Anweisungen von Nicht-Ärzten entgegennehmen müssen. Oder dass sie wider besseres Wissen und Gewissen handeln müssen. Der notwendige Raum für Therapiefreiheit und -verantwortung muss erhalten bleiben bzw. wiederhergestellt werden. Er ist eine unabdingbare Rahmenbedingung für wertschätzendes Verhalten.

Verbreitetes Gefühl des Unbehagens

Bei immer mehr Kolleginnen und Kollegen beobachte ich zunehmend ein Gefühl des Unbehagens. Viele fühlen sich von Gesundheitspolitik, Kassen und Spitalsbetreibern nicht ausreichend respektiert.  Auf den Punkt gebracht: Sie wünschen sich mehr Wertschätzung.

Allerdings gibt es hier zwei gegenläufige Entwicklungen: Aktuelle österreichische Umfragen zeigen uns, dass 95 Prozent der Menschen mit ihren Ärztinnen und Ärzten zufrieden sind. Ein Ergebnis, das ermutigt und uns Kraft gibt.

In klarem Gegensatz dazu steht die Art und Weise, mit der manche Repräsentanten der Gesundheitspolitik, der Krankenkassen und der Krankenhäuser uns Ärztinnen und Ärzten begegnen. Der traurige Höhepunkt: Man bespitzelt uns mit Hilfe staatlich legitimierter Herumschnüffler, der Mystery Shopper, als wären wir alle potenzielle Betrüger. Mystery Shopping ist das krasse Gegenteil von Wertschätzung, es untergräbt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient. Wenn der Arzt nicht weiß, ob ein Patient ein echter Patient ist oder ein Kassenspitzel mit gefälschter E-Card, der mittels vorgespielter Beschwerden den Arzt zu einem Fellverhalten verleiten möchte, dann schafft das die Basis für Misstrauen.

In der Politik glaubt man tatsächlich, bei der gesundheitspolitischen Planung auf die ärztliche Expertise verzichten zu können und verweigert uns nach Möglichkeit die Mitsprache und Mitentscheidung. Und man bemüht sich unter dem Vorwand, die niedergelassene Primärversorgung in Zentren angeblich viel besser organisieren zu wollen, die Ärzteschaft zu schwächen, den Gesamtvertrag – also den Kollektivvertrag für niedergelassene Kassenärzte – auszuhöhlen und die Ärztekammer möglichst zu umgehen. Und man versucht vielerorts, die ärztliche Freiberuflichkeit zu beschneiden, damit die Kontrolle über die Ärzte erleichtert wird.

Bitte wieder mehr Respekt und Wertschätzung im Gesundheitssystem

Es überrascht also nicht, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen unbehaglich und frustriert fühlen. Deshalb bitte wieder mehr Respekt und Wertschätzung in der Gesundheitspolitik und -versorgung: im Umgang miteinander, für die Bedürfnisse kranker Menschen, aber  auch für die Leistungen, die Ärztinnen und Ärzte jeden Tag erbringen. Sonst wird es in Zukunft noch schwieriger als bisher, ärztlichen Nachwuchs zu finden.