Der heutige fünfte Tag der Allgemeinmedizin, veranstaltet von der Österreichischen Ärztekammer, steht ganz im Zeichen des Streik- und Aktionstages, der ebenfalls heute in ganz Österreich stattfindet. Damit protestiert die Bundeskurie niedergelassene Ärzte gegen die Umsetzung der Artikel 15a-Vereinbarungen, die heute im Parlament beschlossen werden. Auch die darin enthaltene Neuregelung der Primärversorgung ist ein Thema des Tages der Allgemeinmedizin. In diesem Zusammenhang wiederholen wir einmal mehr unsere Forderung, die Ärzteschaft in den politischen Diskurs sowie das Festhalten am Primat der wohnortnahen Versorgung durch in Einzel- und Gruppenpraxen freiberuflich tätige Ärztinnen und Ärzten vor ambulanten Krankenanstalten einzubinden.
Derzeit treffen einige Entwicklungen zusammen, die sich zu einer echten Bedrohung für das bewährte Haus- und Vertrauensarzt-System zusammenbrauen.
1. Bedrohung: Zahlenmäßiger Schwund von Kassen-Hausärzten
Zwar gibt es in Regierungserklärungen und Sonntagsreden flammende Bekenntnisse zur Stärkung des Hausarztes, de facto aber passiert das Gegenteil. Heute gibt es fast 300 Kassen-Allgemeinmediziner weniger als 1999. 60 Prozent der heute Praktizierenden erreichen in den kommenden zehn Jahren das gesetzliche Pensionsalter. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs, weil die von den Kassen gebotenen Rahmenbedingungen für viele Jungmediziner völlig uninteressant sind.
2. Bedrohung: Geplantes Primärversorgungsgesetz des Ministeriums
Eine massive Bedrohung für den Beruf des niedergelassenen Allgemeinmediziners, so wie die Patienten ihn kennen und schätzen, könnte das geplante PHC- oder Primärversorgungsgesetz darstellen. Dann nämlich, wenn die Regierung auch weiterhin keine glaubwürdigen Zeichen dafür setzt, dass sie bereit ist, das bereits im Bundeszielsteuerungsvertrag akkordierte Konzept zur Neuausrichtung der Primärversorgung – das Konzept „Das Team rund um den Hausarzt“ – tatsächlich umzusetzen.
Bis dato sehen wir in keinem einzigen Vorschlag, der vom Ministerium bisher dazu präsentiert wurde, eine wirkliche Verbesserung der Primärversorgung. Deutlich erkennbar war dafür immer das Ziel, die Ärzteschaft zu schwächen, den Gesamtvertrag, also den „Kollektivvertrag“ für Ärzte, auszuhebeln und niedergelassene Haus- und Vertrauensärzte durch Zentren zu ersetzen. Dass sich der Gesundheitsausschuss des Nationalrats vor Kurzem deutlich zum Vorrang von Netzwerken gegenüber Zentren ausgesprochen hat, ist bis dato das einzige Hoffnungszeichen, dass diese Entwicklung vielleicht doch noch abgewendet werden könnte.
Andernfalls sind freie Arztwahl, wohnortnahe Versorgung und ärztliche Freiberuflichkeit hochgradig in Gefahr. Denn in Zentren, die natürlich auch von Großkonzernen und anderen kommerziellen Anbietern übernommen werden könnten, glaubt man die Ärzte besser gängeln und kontrollieren zu können.
3. Bedrohung: Heute im Parlament beschlossene Gesetze
Weil das rein ideologisch und machtpolitisch motivierte PHC-Gesetz seit Jahren nicht so recht von der Stelle kommt, versucht es die Politik jetzt mit den heute im Parlament beschlossenen Artikel 15a Vereinbarungen. Diese beinhalten massive Gefahren für den niedergelassenen Ärztebereich, insbesondere für Hausärzte. Einige Beispiele:
• Viele Elemente der Vereinbarungen stehen im Widerspruch zur Möglichkeit der Ärzte, weiterhin einen Freien Beruf auszuüben. Angehörige Freier Berufe erbringen ihre Leistungen aufgrund besonderer Qualifikation persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig. Mediziner müssen daher von Nichtmedizinern keine Weisungen in medizinischen Fragen entgegennehmen. Ob das in staatlich oder gewinnorientiert geführten Zentren noch der Fall sein wird, sei dahingestellt. Die Einschränkungen in der Berufsausübung werden sich auch für Patienten negativ auswirken.
• Künftig will man bei der Versorgungsplanung auf die Expertise der Ärzteschaft völlig verzichten. Bisher wurde die niedergelassene Versorgung einvernehmlich von Sozialversicherung und Ärztekammer im Wege von Stellenplänen und im Rahmen von Gesamtverträgen geplant. Ärzte können auf Basis ihrer täglichen Praxis am besten beurteilen, was Patienten brauchen und wie die Versorgung sinnvoll weiterentwickelt werden sollte. Offensichtlich soll die Planung künftig nur noch nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgen. Das wird Patienten keine Vorteile bringen.
• Durch gesetzliche Maßnahmen könnte die Versorgung von Einzelordinationen in Versorgungszentren und kasseneigene Ambulatorien verlagert werden. Dadurch ginge der individuelle ärztliche Ansprechpartner und die Wohnortnähe verloren.
Bedenken der Ärzteschaft ernst nehmen und bei Planungen berücksichtigen
Dass die Ärztekammer – oft als einzige Interessenvertretung – regelmäßig gegen Fehlentwicklungen auftritt, aber auch konsequent Gegenvorschläge macht, blieb nicht folgenlos: Zielstrebig versuchen manche Politiker und Beamte, die Kammer aus Entscheidungsprozessen hinauszudrängen. Bestrafungen für Insubordination gegenüber der Obrigkeit sollten der Vergangenheit angehören und nicht Maßstab für eine Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert sein. Klüger wäre es seitens der politisch Verantwortlichen, die Bedenken der Ärzteschaft ernst zu nehmen und bei Planungen zu berücksichtigen. In den vergangenen Jahren hat die Ärztekammer, angesichts der enormen Versorgungsprobleme, immer wieder lösungsorientierte „Gesundheitsgipfel“ mit allen Beteiligten vorgeschlagen. Durchgängiges Fazit: praktisch keine Reaktion. Dieser Mix aus Gesprächsverweigerung und Sanktionen „von oben“ wird nicht folgenlos bleiben. Wenn es kein Umdenken gibt, wird unser Gesundheitssystem bald irreparablen Schaden nehmen.
Streik- und Aktionstag als gesundheitspolitischer Warnschuss
Den heutigen Streik- und Aktionstag verstehen wir als Warnschuss und als Signal an die Gesundheitspolitik, dass neue Weichenstellungen dringend nötig sind. Heute wird jedes Bundesland in einer Art und Weise aktiv, die der jeweiligen regionalen Situation entspricht.
Der Konflikt mit dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen ist keineswegs mit dem heutigen Tag beendet. Unter dem Titel „Retten wir unsere Gesundheitsversorgung“ wird eine parlamentarische Bürgerinitiative gestartet. Dabei könnten die Bürgerinnen und Bürger online dafür votieren, dass sich die Volksvertreter im Parlament mit den Bedenken und Alternativvorschlägen der Österreichischen Ärztekammer auseinandersetzen.
Die heutigen Aktionen sind ein Auftakt. Eskalationen wie zum Beispiel Ordinationsschließungen bei Fachärzten haben wir uns ausdrücklich vorbehalten. Wir werden auch 2017 so lange Kampfmaßnahmen ergreifen, bis diese Kulminierung gesundheitspolitischer Fehlentscheidungen endlich ein Ende hat und man mit uns an einem runden Tisch in eine vernünftige Richtung verhandelt.