Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier, der Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin an der MedUni Wien, hat einen sehr beachtenswerten „offenen Brief“ über die Situation der Allgemeinmedizin in Österreich und das Thema Primary Healthcare Center (PHC) verfasst. Um es vorweg zu nehmen: Für die Bundeskurie Niedergelassene Ärzte ist es sehr erfreulich, unsere Warnungen und Empfehlungen – zumindest über sehr weite Strecken – von einem ranghohen akademischen Vertreter des Faches Allgemeinmedizin bestätigt zu sehen. Ich möchte das im Folgenden anhand von fünf Punkten, die Prof. Maier anspricht, darstellen:
- Prof. Maier schreibt, es sei nicht nachvollziehbar, warum es überhaupt ein PHC-Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt geben soll, zumal die Implementierung der PHC Zentren an Pilotstandorten erfolgt und evaluiert werden muss. Man solle doch zunächst die Ergebnisse der Evaluierung abwarten.
Dem ist 100-prozentig zuzustimmen. Pilotprojekte wie das PHC Medizin Mariahilf, das aus einer Gruppenpraxis hervorgegangen ist, weisen in die richtige Richtung und lassen hoffen. Die „Eckpunkte“ zum geplanten PHC-Gesetz, die bisher vom Ministerium bekannt gegeben wurden, weisen jedoch in eine völlig andere Richtung – und zwar ohne jede vorangegangene Evaluation. Um die geht es aber der Gesundheitspolitik und Vertretern des Hauptverbandes auch überhaupt nicht, hier sind Ideologen am Werk, die ihre fest gefügten Überzeugungen möglichst schnell umsetzten möchten – offenbar ohne besondere Rücksicht auf Verluste.
- Prof. Maier ist voll darin zuzustimmen, dass die bisherigen Ankündigungen der Politik, die medizinische Grundversorgung durch Allgemeinmediziner aufzuwerten und zu stärken, seit Jahrzehnten nicht umgesetzt werden. Prof. Maier bezieht sich hier primär auf Fragen der Ausbildung.
Seine Liste kann jedoch noch erweitert werden: Wie sehr der niedergelassene Bereich von der Politik konsequent vernachlässigt und ausgedörrt wird, das erleben wir aktuell in dramatischer Weise: Ambulanzen in vielen Spitälern fahren als Konsequenz des neuen Ärztearbeitszeitgesetzes ihre Leistungen massiv zurück. Doch der niedergelassene Bereich wird unverändert durch Deckelungen und Degressionen sowie durch bürokratische Zumutungen wie die Chefarztpflicht behindert. Die Zahl der Kassenärzte geht massiv zurück, die Forderung der Ärztekammer nach mehr Kassenarztstellen wird beharrlich ignoriert. Das gilt auch für Gruppenpraxen.
- Prof. Maier verweist zu Recht darauf, dass ein großer Teil der MedUni-Absolventen Österreich verlässt. Zusammen mit der laufenden Pensionierungswelle niedergelassener Ärzte habe sich deshalb innerhalb weniger Jahre in Österreich aus einem Ärzteüberschuss ein Ärztemangel ergeben.
Dass bestätigt nachdrücklich die Warnungen der Ärztekammer, die jedoch von der Politik konsequent ignoriert werden. Gebetsmühlenhaft wird dort auf die in Österreich angeblich „höchste Ärztedichte“ in Europa verwiesen. Da nützt es auch nichts, wenn die Kammer darauf verweist, dass die reale Ärztedichte in Österreich jener Deutschlands oder der Schweiz entspricht. In diesen Ländern bestätigen allerdings die meisten Gesundheitspolitiker und Kassenfunktionäre sehr einmütig, dass der Ärztemangel die medizinische Versorgung bedrohe. So viel Einsicht würde man gerne einmal in Österreich von Kassenfunktionären und Gesundheitspolitikern hören.
- Zu Recht verweist Prof. Maier darauf, dass kassenärztliche Planstellen für Allgemeinmediziner immer häufiger nicht mehr nachbesetzt werden, insbesondere im ländlichen Raum. Dies sei in Anbetracht der Gesamtsituation nicht verwunderlich, darüber hinaus trage noch die „unsinnige Regelung“ für Hausapotheken sowie die Nichtbeachtung der geänderten Berufsvorstellungen von jungen Ärztinnen und Ärzten bei. Diese Probleme des ländlichen Raums können in Bälde unschwer auch für städtische Bereiche vorhergesagt werden, sagt Prof. Maier.
Auch das bestätigt sehr deutlich die Positionen und Argumente der Ärztekammer. Hausapotheken sichern nicht nur die wohnortnahe Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit Medikamenten, sie sind auch ein wesentlicher Einkommensbestandteil von Landärzten, die deren finanzielles Überleben sichern. Und flexible Formen der Zusammenarbeit zwischen Ärzten bis hin zur Anstellung von Ärzten bei Ärzten fordern wir seit vielen Jahren, allerdings ohne bei Kassenfunktionären auf Verständnis zu stoßen.
- 100-prozentig stimme ich Prof. Maier darin zu, wenn er im Interesse der Primärversorgung der Zukunft für „eine neue Kultur der gemeinsamen und sachorientierten Kommunikation“ fordert.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass ich in den letzten Monaten die anderen Player des Gesundheitssystems zu einem „Gesundheits-Polylog“ bzw. zu „Gesundheitsreform-Sommergesprächen“ eingeladen habe. Dies genau mit dem Argument, dass es im Sinne der Sache dringend erforderlich sei, miteinander lösungsorientiert zu reden, und sich nicht Positionen wie die „Eckpunkte“ über Medien oder Presseaussendungen mitzuteilen. Reaktion darauf gab es bisher leider keine.
Wenn Prof. Maier kritisch festhält, dass nur „Eckpunkte“ eines in Ausarbeitung befindlichen Gesetzes vorgestellt werden und bereits dieser Ankündigungen sofortige Proteste der Ärztekammer folgen, so möchte ich dazu anmerken, dass diese Reaktion aus sehr gut nachvollziehbaren Gründen erfolgte. In den „Eckpunkten“, die ja wohl präzise die wesentlichen Tendenzen des Gesetzes wiedergeben, ist sehr deutlich der Wunsch nach einer Aushöhlung des Gesamtvertrages – des zwischen Kammer und Kassen abgeschlossenen „Kollektivvertrags“ für Kassenärzte – erkennbar. Dem kann die Ärztekammer nicht nur aus standespolitischen Erwägungen nicht zustimmen, sondern auch, weil Direktverhandlungen einzelner Ärzten bzw. PHC-Zentren mit der Kasse zu einer Schwächung dieser Verhandlungspartner führen würde. In der Folge würde sich das auch negativ auf die von den Kassen bezahlten Leistungen und somit auf die Versorgungssituation für Patienten auswirken.
Irritierend ist auch, dass einige dieser Eckpunkte sehr deutlich von dem von Prof. Maier positiv gesehenen Papier „Der Team rund um den Hausarzt“ abweichen, das im Juni 2014 von der Bundeszielsteuerungskommission beschlossen wurde. Sodass sich für mich die Frage stellt, ob Bund, Länder und Sozialversicherung überhaupt zu ihren eigenen Beschlüssen in der Bundeszielsteuerung stehen.