Die Medienberichte über die Masernwelle in Berlin und die darauffolgenden Diskussionen in Österreich werden hoffentlich die Aufmerksamkeit nachhaltig auf ein Thema lenken, das zunehmend an Bedeutung gewinnt: „Impfkritik“ und „Impfmüdigkeit“. Die Nichtbereitschaft, Kinder – und ggf. sich selbst – impfen zu lassen, ist ein Luxusproblem: Parallel zu den enormen Erfolge von Impfprogrammen hat der Wohlstand offensichtlich immer mehr Menschen vergessen lassen, wie gefährlich Krankheiten sind, vor denen Impfungen schützen, und was sie heute noch in armen Ländern anrichten; wie grassierend und mörderisch sie früher einmal auftraten; und dass vor der Einführung von Impfungen für Kinder Infektionskrankheiten wie Pocken, Masern, Röteln oder Polio im Kindesalter die Haupt-Todesursache waren.
All das konnte und kann in Österreich nur deshalb vergessen bzw. bagatellisiert werden, weil Impfprogramme zu einer so genannten Herden-Immunität geführt haben: Dazu, dass die durch Impfung hergestellte Immunität gegen einen Krankheitserreger innerhalb einer Gesellschaft oder Gruppe („Herde“) derart verbreitet ist, dass in dieser Gesellschaft auch nicht-immunisierte Menschen geschützt sind, weil der Erreger sich nicht ausbreiten kann. Sinkt allerdings die Impf-Rate unter ein bestimmtes Niveau, breiten sich Krankheiten wie z. B. Masern wieder aus.
Jeder nicht-geimpfte Mensch erhöht Gefahr für sich und andere
Die WHO schätzt, dass Impfungen das Leben von weltweit mehr als 3 Millionen Menschen pro Jahr schützen und weitere Millionen von Krankheit und lebenslanger Behinderung. Entsprechende WHO-Berechnungen weisen nach, dass, wenn ein Impfstoff gegen eine Infektionskrankheit eingeführt wird und die Impf-Rate steigt, die Zahl der daran erkrankten Personen deutlich zurückgeht. Das funktioniert auch umgekehrt Sinkt die Impf-Rate, kehren besiegt geglaubte Krankheiten wieder zurück.
Anders formuliert: Jeder nichtgeimpfte Mensch – Kinder wie Erwachsene – erhöht die Gefahr, dass er selbst und andere von der jeweiligen Krankheit betroffen sein wird. Der Preis der so genannten Impfmüdigkeit kann also sehr hoch sein.
Impfen ist vernünftig und solidarisch
Wer sich gegen ansteckende Krankheiten impfen lässt, verhält sich vernünftig und seiner Umgebung gegenüber solidarisch. Er schützt sich und andere. Aus medizinischer und ethischer Sicht muss an Eltern appelliert werden, die Gesundheit ihrer Kinder nicht durch den Verzicht auf Impfungen aufs Spiel zu setzen – zumal Kinder nicht selbst entscheiden können und sich nicht gegen die elterliche Impfmüdigkeit oder Impfskepsis zur Wehr setzen können, dieser aber schlimmstenfalls zum Opfer fallen. Neben einer gewissen Nachlässigkeit dem Thema gegenüber spielt natürlich auch die ideologisierte Haltung von Impf-Gegnern oder Impf-Kritikern eine mitunter unheilvolle Rolle. Ihnen gegenüber gibt es nur eine Kernbotschaft: Es gibt wohl keinen rationalen Grund, auf Impfungen, diese Segnungen der modernen Medizin, zu verzichten.
Auf ärztliche Impf-Aufklärung setzen und diese durch die Kassen honorieren
Ich bin kein Befürworter einer „Impf-Pflicht“, wie sie derzeit diskutiert wird, sondern setze lieber auf ärztliche Aufklärung. Hier sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen einer Aufklärungs- und Zuwendungsmedizin die richtigen Ansprechpartner, um durch ausführliche und konsequente Beratung und mittels rationaler Argumente auf Patienten bzw. Eltern im Sinne der modernen medizinischen Erkenntnisse einzuwirken: auch gegen hartnäckige Vorurteile oder ideologische Standpunkte. So eine Patientenaufklärung braucht natürlich Zeit, und diese Zeit muss durch die Krankenkassen angemessen abgegolten werden.
Denn das Luxusproblem Impfmüdigkeit, das zeigen die Berliner Vorfälle, können und dürfen wir uns definitiv nicht leisten.