In Bad Hofgastein fand in den vergangenen Tagen unter dem Motto „Electing Health – The Europe We Want“ das Europäische Gesundheitsforum Gastein statt, eine internationale Experten-Plattform für Diskussionen über eine breiten Palette gesundheitspolitischer Themen. Meiner Meinung nach ragte wegen seines praktischen Bedrohungspotenzials für die Gesundheitsversorgung dieses Jahr ein Thema ganz besonders heraus: Der bereits akute und sich zunehmend verschärfende Mangel an „Gesundheitspersonal“ in Europa, dessen multiple Ursachen und der sich daraus ergebende dringende Bedarf politischer Gegenmaßnahmen. Die Lücke zwischen verfügbaren Arbeitskräften und vorhergesagter Nachfrage nach Gesundheitsprofis werde weiter wachsen, hieß es in Gastein. Bis zum Jahr 2020 – also in nur sechs Jahren – werden in Europa etwa eine Million Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonen und Angehörige anderer Gesundheitsberufe fehlen.
Die Ursachen: Die Nachfrage nach „Gesundheitspersonal“ steigt in einer älter werdenden Gesellschaft nun einmal an, weil alte Menschen einen höheren Bedarf an gesundheitlicher Versorgung haben. Dazu kommt verschärfend eine steigende Zahl von Angehörigen der Gesundheitsberufe, die in Pension gehen. Dass das auch für Österreichs niedergelassene Ärzte zutrifft, darauf hat die Ärztekammer in den vergangenen Wochen einmal mehr verstärkt öffentlich aufmerksam gemacht.
Diese Entwicklung, so Prof. Dr. James Buchan (Queen Margaret Universität Edinburgh), Autor vieler wissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Thema, führt klarer Weise zu einem verschärften internationalen Wettbewerb um qualifiziertes Gesundheitspersonal innerhalb der EU. Zu einem Teil konnten westliche und nördliche Mitgliedsstaaten Lücken bisher durch Zugänge aus Ost- und Südeuropa füllen. Inzwischen sei jedoch die Richtung von Migrationsströmen und deren Veränderung zunehmend schwierig vorhersehbar. „Für Länder, die sich auf Gesundheitspersonal aus anderen Ländern verlassen, um den Mangel an inländischen Fachkräften auszugleichen, kann das riskant sein“, sagt Prof. Buchan. „Die Mobilitätsmuster verändern sich laufend und werden immer schwerer vorhersehbar, die Migration von Angehörigen der Gesundheitsberufe gewinnt an Bedeutung, und die Rahmenbedingungen werden komplexer. Vor diesem Hintergrund kann es sich kein Land leisten, diese Mobilität zu ignorieren oder sich ‚sicher’ zu wähnen. Ein- und dasselbe Land kann heute von der Zuwanderung von Fachkräften im Gesundheitsbereich profitieren und morgen selbst Gesundheitspersonal an andere Destinationen verlieren.“ Inzwischen kämpfen auch klassische „Empfängerländer“ zunehmend mit medizinischem „Brain drain“.
Was er damit meint, das wissen wir nur allzu gut. In Österreich sind nur ungefähr 60 Prozent der Absolventen eines Medizinstudiums des Jahrgangs 2013 tatsächlich in unserem Land ärztlich tätig. Viele Mediziner wandern ins Ausland ab, 2013 arbeiteten rund 2.700 Ärzte aus Österreich in Deutschland.
Zu den Migrationsmotiven von Angehörigen der Gesundheitsberufe sagt Prof. Buchan: „Ein besseres Einkommens ist ein, aber beileibe nicht das einzige Motiv. Zu wichtigen Motiven zählen auch Karrierechancen, Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder oder die politische Stabilität des Ziellandes.“ Die Regierungen betroffener Länder seien aufgerufen, die Faktoren zu analysieren, die zur Abwanderung von Angehörigen der Gesundheitsberufe führen, so Prof. Buchan. „Dann kann man mit angemessenen politischen Maßnahmen darauf reagieren. Diese Länder werden vielleicht nicht immer mit den Zielländern mithalten können, was das Gehaltsniveau betrifft, doch sie können versuchen, als Strategie gegen die Abwanderung die Rahmen- und Arbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern.“
Das entspricht exakt den Bemühungen der Österreichischen Ärztekammer, die Rahmenbedingungen für den Arztberuf so zu gestalten, dass sich wieder mehr junge Menschen dafür interessieren. Dazu brauchen wir allerdings die Unterstützung durch die Politik und die Einsicht der Sozialversicherungsträger – beide scheinen allerdings den Ernst der Lage noch nicht immer erkannt zu haben.
Benötigt werden, um es auch aus gegebenem Anlass zu sagen, zum Beispiel flexible Formen der ärztlichen Kooperation, eine bessere Vereinbarkeit von Arztberuf und Familie, ein den medizinischen Entwicklungen angepasster Honorarkatalog, spezielle Maßnahmen gegen das Landarztsterben, ein Abbau von Bürokratie, die Patienten keine Vorteile bringt, etc. Das könnte den Arztberuf wieder attraktiver und für junge Menschen erstrebenswerter machen.
Die von Prof. Buchan in Gastein genannten Zahlen zeigen aber auch all jenen „Gesundheitsreformern“ sehr klar die Grenzen ihrer Modelle auf, die glauben, in Zukunft ärztliche Tätigkeiten einfach von Nicht-Medizinern ausführen zu lassen – das ist ja derzeit nicht ganz unmodern. Denn abgesehen davon, dass Vertreter anderer Gesundheitsberufe für andere Aufgaben – und außerdem viel kürzer – ausgebildet sind, als Ärzte, besteht auch bei ihnen schon jetzt Personalknappheit, die sich in Zukunft weiter verschärfen wird.
Eine Knappheit mit einer anderen Knappheit wettmachen zu wollen, ist weltfremd.