Heute wird im Gesundheitsministerium wieder einmal über die Zukunft unseres Gesundheitssystems diskutiert. Das Papier des „Projektboards“, an dem auch Vertreter verschiedener Gesundheitsberufe teilnehmen, gibt sich harmlos: „Das Team rund um den Hausarzt – Konzept zu multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung in Österreich“. Den gar nicht harmlosem, für die künftige Versorgung brisanten Inhalt hat die Ärztekammer vom Ministerium erst am Montag dieser Woche zugestellt bekommen – unzumutbar wenig Zeit also, um ein hochproblematisches, die Weichen für die künftige Gesundheitsversorgung neu stellendes Positionspapier im Detail zu analysieren. Immerhin soll, so steht es in dem Papier, das Gesamtvertragsrecht der Ärztekammer, also der „Kollektivvertrag“ der Ärzte, ausgehebelt werden. Der Ordnung halber, aber eigentlich selbstverständlich: Wenn in einer Beilage dieses Papiers angedeutet wird, auch die Ärztevertretung hätte den Inhalten „grundsätzlich zugestimmt“ und es bestehe „Konsens“, so ist das ziemlich abenteuerlich.
Breite Kritik am Entwurf
Denn dieser Entwurf hat es in sich: Unter rechtlichen Gesichtspunkten, bezüglich der in Zukunft geplanten Rolle der Ärztinnen und Ärzte, der Auswirkungen auf die Versorgung und damit auf die Gesundheit der Menschen. Den Zusatz „Das Team rund um den Hausarzt“ haben die Autoren dieses „Arbeitsentwurfs“ im Übrigen nach dem Bekanntwerden eines Papiers vom 2. Juni 2014, in dem der Hausarzt praktisch nicht vorkommt, noch schnell eingefügt: Nachdem – völlig zu Recht – sehr breite Kritik an diesem Entwurf geäußert wurde. Zu Ende gedacht, hätte die Realisierung des ursprünglichen Entwurfs vom 2. Juni die Abschaffung niedergelassener Ärzte und das Ende der freien Arztwahl bedeutet, eventuell auch der sozialen Medizin, wie wir sie kennen. Es hätte keine neuen Kassenstellen und keinen Kollektivvertrag für Ärzte mehr gegeben. Eigentlich unfassbar.
Ein gesundheitspolitischer Schildbürgerstreich, wie man ihn lange suchen muss.
Ministerielle Beschwichtigung und Kindsweglegung
Nach einem sehr kritischen Medienecho, bei dem auch Repräsentanten der Ärztekammer ausführlich zu Wort kamen, hatten die Gesundheitspolitiker und Gesundheitsbürokraten offensichtlich Angst vor der eigenen Courage und übten sich rasch in Beschwichtigung und Kindsweglegung. Dr. Auer, Sektionsleiter im Gesundheitsministerium, machte „Technokraten“ für das Verfassen des Textes verantwortlich: „Dieses Papier kennt die Politik in keinster Weise und muss daher gründlich überarbeitet werden.“
Natürlich hat er in beiden Punkten völlig Recht. Unklar allerdings, wer diese „Technokraten“ sein könnten. Es ist ja wohl kaum so, dass Beamte im Ministerium ohne wohlwollende Duldung ihrer Vorgesetzten ihre Fantasie einfach freien Lauf lassen und eine Abschaffung der bestehenden Versorgung im niedergelassenen Bereich herbeifantasieren. Wir würden auch gerne ausschließen, dass in einem so heiklen Bereich wie der Gesundheitspolitik bei den Verantwortlichen die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Hier muss also einiges offen bleiben. Alles nicht sehr glaubwürdig – oder, wenn es stimmt, mangels Professionalität recht beunruhigend.
Geplante Schwächung der Ärzteschaft
Ich bin auch nicht so richtig überzeugt, dass es wirklich, wie Gesundheitsminister Stöger dazu beschwichtigend meinte, „keinen Grund zum Fürchten“ gibt. Schließlich zieht sich eine recht klare Linie vom Programm der Koalitionsregierung über Aussagen des Gesundheitsministers und seines Sektionsleiters, ebenso wie des Hauptverband-Chefs Dr. Schelling und ostösterreichischer Patientenanwälte, die durchaus folgerichtig zu den Zumutungen des Papieres vom 2. Juni geführt haben von dem jetzt niemand etwas wissen will. Nach einer eingehenden Analyse der neuen Version, werden wir Sie, nicht nur in diesem Blog, auf dem Laufenden halten. Klar ist freilich jetzt schon, dass zentrale Punkte des früheren Papiers beibehalten wurden. Zum Beispiel: Sanfter formuliert als im Ursprungspapier und diskret weit hinten im Papier (Seite 19) platziert heißt es: „Die neuen Primärversorgungsstrukturen sind Sachleistungsanbieter und künftige Vertragspartner der SV-Träger.“ Ein klarer Abschied vom Gesamtvertragsrecht der Ärztekammer also und damit eine geplante klare Schwächung der Ärzteschaft.
Keine Spur von „grundsätzlicher Zustimmung“ der Ärzteschaft
Abwegig also, wenn das Gesundheitsministerium behauptet, dieser Entwurf beruhe auf „Konsens“ und finde „grundsätzlich Zustimmung“ auch bei der Ärzteschaft – das klare Gegenteil ist der Fall.
Die Ärztekammer wird vielmehr den machtpolitisch und ideologisch motivierten Bestrebungen „von Oben“, das bewährte System der wohnortnahen und niedrigschwelligen Versorgung durch frei wählbare Ärztinnen und Ärzte zu demontieren, nicht so ohne weiteres zulassen und mit geeigneten demokratischen Mitteln bekämpfen. Unzumutbare „Arbeitsentwürfe“ werden die „Technokraten“ und Ideologen des Ministeriums und des Hauptverbandes wohl noch mehrfach umzuschreiben haben, bis etwas Vernünftiges entstanden ist, das Verbesserungen und keine unnötigen Verschlechterungen bringt.
Was die Versorgung in Zukunft braucht
Im Folgenden eine Auswahl wichtiger Maßnahmen, die eine gute Versorgung auch in Zukunft absichern können:
- Das Haus-und Vertrauensarztmodell der Ärztekammer muss in das Primärversorgungs-Konzept integriert werden.
- Optimale Primärversorgung (Primary Health Care, PHC) bedeutet aus Sicht der Ärzteschaft erste Diagnostik, erste Behandlung, Koordinierung, Begleitung und Weitervermittlung. PHC ist also mehr als bloß Triage, Case Management, Gateopening oder Gatekeeping.
- Für die Primärversorgung der Zukunft bedarf es eines klaren politischen Bekenntnisses zur Versorgungspyramide der ambulanten medizinischen Betreuung im niedergelassenen Bereich mit dem Haus- und Vertrauensarzt als Basis und Drehscheibe. Anonyme Versorgungszentren, vielleicht sogar ohne Arzt als kompetentem Erstkontakt, sind keine Alternative.
- Das bewährte System der dezentralen allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Versorgung mit dem Prinzip der freien Arztwahl darf nicht durch völlig andere Strukturen verdrängt werden. Bestehende Strukturen sind zu stärken, auf ihnen ist aufzubauen, Versorgungslücken sind zu schließen.
- Einer gestärkten Hausarzt- und Vertrauensarzt-zentrierten Primärversorgung sollen auch die Möglichkeiten und Ressourcen gut ausgebildeter Gesundheits- und Sozialberufe unter ärztlicher Koordination und letztlich medizinischer Verantwortung zur Verfügung stehen. Für diese Leistungen ist eine ausreichende zusätzliche Finanzierung sicherzustellen.
- Zeitgemäße Optionen der Zusammenarbeit sind zu schaffen und zu ermöglichen.
- Die Finanzierung von Spitals-entlastenden Maßnahmen im niedergelassenen Bereich muss gesichert sein. Für eine Verschiebung von Leistungen aus den Ambulanzen in die Ordinationen braucht es rund 1.300 zusätzliche Kassenstellen.
- Um die Tätigkeit als Haus- bzw. Vertrauensarzt attraktiv zu machen und den Rahmen für eine optimale Patientenbetreuung zu schaffen, bedarf es eines leistungsgerechten Honorarsystems. Dazu gehört eine Anpassung der Leistungskataloge an den Stand und die Erfordernisse der Medizin ebenso wie die Aufhebung von Limitierungen und Degressionen, also die Schlechterhonorierung ärztlicher Leistungen nach dem Erreichen einer bestimmten Leistungsmenge.
Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen und kann im Detail in den verschiedenen Positionspapieren der Ärztekammer zu ihrem „Haus- und Vertrauensarztmodellen“ und zur Primärversorgung nachgelesen werden.
Die „Gesundheitsreformer“ sollten sich keine Illusionen machen
Die Revision des ursprünglichen „Arbeitsentwurfes“, nachdem es zu Protesten gekommen war, macht einmal mehr deutlich, wie den Zumutungen der „Gesundheitsreformer“ am besten beizukommen ist. Die Ärzteschaft stellt sehr gerne ihre Expertise zur Verfügung, ist aber auch bereit, gegen Schildbürger-Streiche in der Gesundheitspolitik massiv aufzutreten. Man mache sich diesbezüglich im Ministerium und im Hauptverband keine Illusionen.